Mein Name ist Kevin Michalowski

Vorgeschichte – Der Fußgänger:
Mein Name ist Kevin Michalowski. Ich bin ein 33-jähriger junger Mann. Bis 2015 bestritt ich ein ganz klassisches Leben bei völliger körperlicher und geistiger Gesundheit. 2011 machte ich Abitur, dem ein Studium zum Wirtschafsingenieur
folgte. Anschließend hielt ich eine anspruchsvolle Position im Bereich Produktionsplanung/-management inne. Auch im privaten Bereich durchzog sich eine klar strukturierte Linie. Ich lebte seit einigen Jahren mit meiner Partnerin
und unseren gemeinsamen Hund zusammen und hatte einen fest etablierten Freundeskreis.
Lebensveränderung – Das Krankenhaus:
Am 20.05.2015 änderte sich schlagartig alles – Ich verunfallte mit meinem Motorrad. Dieses Ereignis hatte zur Folge, dass ich seither ab der Brust abwärts querschnittsgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen bin. Nach mehrere
Wochen auf der Intensivstation, kurierte ich über ein halbes Jahr die nicht bleibenden Verletzungen in einer Spezialklinik für querschnittsgelähmte in Hamburg aus. Größtenteils getrennt von Familie und Freunden kämpfte mich wortwörtlich
ins Leben zurück. Der Alltag war von Ergo-/Physiotherapie, viel Sport und Übungen zum Umgang mit den Rollstuhl gekennzeichnet. Familie und Freunden gaben mir so gut es ging Unterstützung und besuchten mich regelmäßig. Nach einiger
Zeit stand fest, dass ich unter starken neuropathischen Schmerzen leide,
die mit oralen Medikamenten nicht in den Griff zu bekommen sind, weshalb ich ein Pumpenimplantat bekam. Das Implantat ist direkt an die verletzte Stelle am Rückenmark angeschlossen um dort gezielt Schmerzmittel abzugeben.
Der Alltag – Häuslicher Umbau und Mobilität
Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus, fand die eigentliche Herausforderung statt – den Alltag bewältigen. Zunächst war wichtig, dass ich in meinem aktuellen häuslichen Umfeld alleine zurechtkam. Dafür war unter anderem ein
Badezimmerumbau unabdingbar. Zeitgleich kaufte ich ein Grundstück und plante mein eigenes barrierefreies Haus zu bauen. Leider gab es hier vermehrt Komplikationen, sodass die Fertigstellung noch 7 Jahre auf sich warten lassen sollte.
Währenddessen stand die Mobilität im Vordergrund. Für den Nahbereich legte ich mir ein sogenanntes Handbike zu. Dabei handelt es sich um eine Art Fahrrad, welches an dem Rollstuhl gekoppelt werden kann. Für weitere Strecken ließ
ich einen Van rollstuhlgerecht mit einer Rampe und Handgasbedienung umbauen.
Der Alltag – Arbeitsleben und soziales Umfeld
Als nächstes stand ich vor dem Hindernis Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. Es hat in etwa 3 Jahre und mehrere Anläufe benötigt, bis ich erkannte und akzeptierte, dass ich in meinen alten Vollzeitjob bzw. meine bisherige Branche
nicht zurückkehren werde. Währenddessen hat sich mein
Freundeskreis drastisch reduziert und auch die Beziehung ging zu Bruch. Zu alledem verstarben in diesem Zeitraum mehrere Personen im engsten Familienkreis. Dieser Abschnitt stellt wohl den Tiefpunkt meines bisherigen Lebens dar.
Es blieb dabei nicht aus, dass die ganzen Schicksalsschläge mit Depressionen und Abschottung von allem und jeden umhergingen.

Der Alltag – Sport als Neuanfang
Nach einer gewissen Zeit änderte ich mein Mindset vollständig. Ich konzentriere mich seither auf die Dinge, die ich noch machbar sind und versuche jeder Situation etwas Positives abzugewinnen. Der Unfall hat mein Leben zwar völlig
auf den Kopf gestellt, aber mich auch in meiner Persönlichkeit gestärkt. Nach einiger Zeit stieß ich auf die Emsland Rolli Baskets, eine Rollstuhlbasketballmannschaft. Der Verein half mir meinen Tiefpunkt zu überwinden, indem ich
dort ein neues soziales Umfeld aufbaute und sich mir neue Perspektiven eröffneten. Ich startete als absolutes Greenhorn und nahm nur einmal in der Woche am Training teil. Für mich war dieser Termin jedes Mal ein Highlight, weil ich
endlich aus meiner Isolation heraus kam. Bereits nach kurzer Zeit übernahm ich mehr und mehr Verantwortung im Verein, sodass ich im Jahr 2023 einen Grundlagen-Trainerschein machte und 2024 die C-Lizenz oben drauf setzte. Auch bei
den Rolli Kids fungiere ich mittlerweile als inoffizieller Betreuer und übernehme wichtige Aufgaben. Somit bin ich ein fester und unverzichtbarer Bestandteil der BSG Emsland geworden. Auch im Arbeitsleben hat sich einiges verändert.
Ich machte eine Umschulung zum Versicherungsfachmann und kann mir meine Arbeitszeiten selbst einteilen.
Der Alltag – Liebe auf Rollen und Beinen:
Neben all den großen Projekten, gab es auch viele kleine Aufgaben zu bewältigen. Ich ging mittlerweile 2 mal wöchentlich zur Krankengymnastik. Hier erfuhr ich 2017 von einem Laufroboter, dem sogenannten Exoskelett. Nach Teilnahme
an einer Studie, wurde mir dieses Gerät genehmigt
und meine Physiotherapeuten ausgebildet. Viele Menschen glauben, dass das Rewalk Exoskelett den Rollstuhl (auf langer Sicht) ersetzt. Dem ist leider nicht so. Es ergänzt ihn und meinen Alltag und unterstützt vielen Begleiterscheinungen
positiv entgegenzuwirken. Nach 6 Jahren Lauferfahrungen trat Anna Struckmann am 21.04.2023 in mein Leben. Sie sollte ebenfalls ein Exoskelett erhalten. Hierfür war eine Testsession bei meinen Therapeuten angesetzt, bei der ich ebenfalls
anwesend sein durfte. Direkt als ich Anna sah, war ich von ihr angetan. Wir tauschten Nummern aus und sahen uns oftmals bei der Therapie. Zusätzlich bewegte ich sie dazu mich regelmäßig zum Basketballtraining zu begleiten. Von nun
an sahen wir uns immer häufiger. Ungefähr 2 Monate nach unserer ersten Begegnung wurden wir am 18.06.2023 offiziell ein Paar. Wir beide haben bis zu diesem Zeitpunkt niemals einen anderen Rollifahrer als Partner in Betracht gezogen.
Nicht weil es abwerten ist, sondern weil wir wissen, dass man oftmals auf Hilfe von Fußgängern im Alltag angewiesen ist. Andersherum ist die Gefühlswelt und das Verständnis füreinander von Beginn an viel größer. Im März 2024 zogen
wir gemeinsam in ein rollstuhlgerechtes Haus, welches nach den scheinbar endlosen 7 Jahren endlich fertiggestellt wurde. Einen besseren Zeitpunkt hätte es hierfür nicht geben können.
Zufall oder Schicksal?
